Clusterkonferenz 2023: Zukunft der Pflege

Entwicklung digitaler Kompetenzen in der Pflegebildung

Tobias Hölterhof 

21.09.2023 in Oldenburg

Organisation der Keynote-Session

Offener Stuhl

Diskutieren Sie mit!

Wir laden Auszubildende oder Studierende ein, den offenen Stuhl in der Diskussionsrunde zu besetzen.

Eingeladene Teilnehmende an der Diskussion

  • Dr. Simone Kuntz
    Charité, Berlin

  • Kristina Loeffler
    Pflegeausbildungszentrums am St. Johannes-Hospital, Varel

  • Ricarda Möller
    DBfk Nordwest, Hannover

  • Björn Naumann
    Charité, Berlin

  • Sie

1. Perspektiven auf das Digitale

Erste Perspektive: Das Digitale als Werkzeug

Beispiel für eine Annäherung an Digitalisierung (vgl. Hülsken-Giesler, Kreutzer, & Dütthorn, 2022):

  • Umstellung analoger Prozesse auf elektronische Prozesse
  • Modifikation von Instrumenten und Artefakten im Kontext der Pflege
  • Veränderung der informellen und professionellen Pflegearbeit
  • Verändertes Verständnis von Sorge und Fürsorge

Einordnung von Werkzeugen in den Kontext von Tätigkeiten im Sinne der Tätigkeitstheorie

Abbildung: Systematisierung von Tätigkeit nach Engeström (1990)

Thus, the presence of a tool in an activity system does not mechanically determine the way it is actually used and conceived by the subjects. (Engeström, 1990, p. 174)

Dieses Zitat mit deepl.com übersetzen

The taken-for-grantedness of artifacts and organizational arrangements is a sine qua non of membership in a community of practice […]. Strangers and outsiders encounter infrastructure as a target object to be learned about. New participants acquire a naturalized familiarity with its objects as they become members (Star & Ruhleder, 1996, p. 113)

Dieses Zitat mit deepl.com übersetzen.

Zweite Perspektive: Das Digitale als das Anthropomorphe

Technologie unter der Metapher des Menschenähnlichen.

Daß der Computer auch etwas tut, für das es in unserem Verhalten und Denken schlichtweg kein Vorbild gibt und das an uns auch keinen Maßstab findet, diese konstitutionelle Andersartigkeit des Technischen wird durch den Mythos von der Künstlichen Intelligenz geradezu gebannt. Eine Idee des Technischen ist hier angelegt, die selbst schon vom Anthropomorphismus zehrt […] (Krämer, 1997, S. 86)

2. Perspektiven auf Medienpädagogik

Erste Perspektive: Medienkompetenz

Ursprünglich ein medienpädagogisches Konzept für Massenmedien (z.B. Fernsehen), dann übertragen auf partizipative, digitale Medien.

  • Orientiert sich an der Theorie kommunikativer Kompetenz von Noam Chomsky bzw. Diskurstheorie von Jürgen Habermas
  • Fokussiert häufig Vermittlung und Anbahnung von abgrenzbaren Kompetenzdimensionen für das Handeln mit Medien (vgl. z.B. Baacke, 1996; Tulodziecki, 1998)
  • Wird übertragen in den Bereich der beruflichen Bildung als berufliche Medienkompetenz

Dimensionen einer berufsbezogenen Medienkompetenz (vgl. Krämer, Jordanski, & Goertz, 2015; Rohs & Seufert, 2020):

Medien zielgerichtet nutzen

Aufgabenbezogener Einsatz von Medien, Computerprogrammen und Apps

Verantwortungsvolle Zusammenarbeit mit Medien

Kommunikation und Zusammenarbeit mit Medien

Sprache zielgerichtet nutzen

Angemessener mündlicher und schriftlicher Ausdruck

Selbstständig lernen

Lernbedarfe erkennen, formulieren und selbstständig lösen

Rahmenbedingungen

Grundlagen des Medieneinsatzes beachten

Innovationen aufgreifen und vorantreiben

Weiterentwicklung des Medieneinsatzes

Zweite Perspektive: Bildung in einer digital geprägten Welt

Durchdringung grundlegender Lebenswelten und Kulturtechniken durch das Digitale als nicht mehr abgrenzbares Phänomen.

  • Adressiert eine Bildungsperspektive auf heterogene Phänomene der Digitalität als Welt und Kultur (vgl. Kerres, 2017)
  • Orientiert sich an vielfältigen Bildungs-, Lern-, Gesellschafts- und Subjekttheorien
  • Geprägt durch die Ubiquität digitaler Technologien und Medien

Beispiele für Themenfelder von Bildung in einer digital geprägten Welt (Schelhowe et al., 2010)

Information und Wissen

Orientierung und Information im Netz. Beteiligung an Erstellung und Verbreitung von Informationen.

Kommunikation und Kooperation

Netzwerke und visuelle Kommunikationsräume im Kontext der Persönlichkeitsentwicklung und Lebensbewältigung.

Identitätssuche und Orientierung

Ausprägung einer Persönlichkeit als ein Sich-ins-Verhältnis-Setzen zur digital geprägten Welt.

Digitale Wirklichkeiten und produktives Handeln

Durchdringung der Wirklichkeit durch digitale Medien und Technologien im Kontext von Lebens- und Arbeitsbereichen.

3. Perspektiven auf den Status Quo der Digitalisierung in Pflege und Pflegebildung

Ergebnisse aus der Studie digi2care von Weidner, Harder, Hölterhof, & Linemann (2023) im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung Rheinland-Pfalz:

  • Quantitative Erhebung mit drei Online-Fragebögen
  • Erhebungszeitraum: April-Juni 2022
  • Zielgruppe: Pflegeversorgungseinrichtungen, Pflegebildungseinrichtungen, Pflegelehrende in Rheinland-Pfalz
  • Rückläufe: 215 Pflegeversorgungseinrichtungen, 41 Pflegebildungseinrichtungen, 74 Pflegelehrende

Erste Perspektive: Mitarbeitende in der Pflegeversorgung

Abbildung: Digitale Kompetenzen der Mitarbeitenden in der Pflegeversorgung; Items mit hoher Zustimmung
Abbildung: Digitale Kompetenzen der Mitarbeitenden in der Pflegeversorgung; Items mit geringer Zustimmung

Ausgewählte Ergebnisse der Studie im Hinblick auf die Digitalisierung von Pflegeversorgungseinrichtungen in Rheinland-Pfalz:

  • Keine weit verbreitete Nutzung digitaler Tools in der pflegerischen Versorgungspraxis
  • Eher pessimistische Einschätzung zu menschenähnlichen Technologien in der Pflegeversorgung wie z.B. humanoide Roboter und Emotionsrobotik

Zweite Perspektive: Pflegebildungseinrichtungen

Abbildung: Digitale Ausstattung der Pflegeschulen mit Endgeräten
Abbildung: Digitale Ausstattung der Pflegeschulen mit Software und Plattformen

Ausgewählte Ergebnisse der Studie im Hinblick auf die Digitalisierung von Pflegebildungseinrichtungen in Rheinland-Pfalz:

  • Pflegeschulen entwickeln ihre digitale Ausstattung und nutzen Förderoptionen
  • Oft krankenhaus- oder trägerinterne Betreuung der IT-Infrastruktur, weniger schulinternen Betreuung
  • Digitale Plattformen für Lehrende und Lernende sind weit verbreitet, aber nicht überall vorhanden
  • Die digitale Ausstattung fokussiert das Arbeiten der Lehrenden mehr als das der Lernenden
  • Autorenwerkzeuge für die Erstellung interaktive und multimediale Lehrmaterialien sind eher wenig verbreitet
Abbildung: Clusteranalyse als Vergleich von Pflegeschulen in Rheinland-Pfalz hinsichtlich materieller und immaterieller Ausstattungsmerkmale

Dritte Perspektive: Pflegelehrende

Abbildung: Digitale Kompetenzen von Lehrenden nach dem DigCompEdu-Modell (Redecker, 2017)
Abbildung: Vergleich der digitalen Kompetenzen der Pflegelehrenden in RLP mit der Studie Cabero-Almenara, Barroso-Osuna, Gutiérrez-Castillo, & Palacios-Rodríguez (2021)

Ausgewählte Ergebnisse der Studie im Hinblick auf die digitalen Kompetenzen von Pflegelehrenden in Rheinland-Pfalz:

  • Ausgeprägte Nutzung digitaler Medien zu Präsentationszwecken
  • Förderung digitaler Medien durch Schulleitung und Curriculum
  • Aber: pessimistischere Einschätzung der schulischen Infrastruktur im Vergleich zu den Schulleitungen
Clusteranalyse als Vergleich von Kompetenzprofilen bei den Lehrenden.

4. Entwicklung digitaler Kompetenzen in der Pflegebildung

Das Digitale als Querschnittsaufgabe

Das Digitale als Querschnittthema ist in allen pflegerelevanten Themen zu finden und muss hier explizit herausgearbeitet werden, z.B. als „transversale Kompetenz“ (Scharnhorst & Kaiser, 2018):

  • Relevanz des Digitalen sowohl für die pflegefachlichen als auch für die überfachlichen Anliegen der Ausbildung
  • Digitale Kompetenzen gehen deutlich über die Anwendung digitaler Technologien hinaus: Soziotechnische sowie kritisch-gestalterische Perspektive auf Digitalität
  • Zieldimension ist die Vorbereitung der Lernenden auf das digitale Unbekannte

→ Digitale Kompetenzentwicklung für Pflege in einer digital geprägte Welt

Die mögliche Hypothese, dass sich die Lernenden die digitalen Kompetenzen innerhalb der bestehenden Kompetenzbereiche und Lernprozesse beiläufig aneignen, ist unzulänglich. (Telieps, Peters, Falkenstern, & Saul, 2022, S. 56)

Abbildung: Das Digitale das Querschnittskompetenz in der Pflege

Lern-Ökosysteme für digitale Kompetenzen in der Pflege

Die Pflegeschule als Ort der digitalen Transformation der Pflege:

  • Förderung von selbstgesteuertem Lernen mit digitalen Medien im Hinblick auf eine Berufsbiographie im Gesundheitswesen
  • Antizipation von Pflege in einer digitalen Lebenswelt: Ausbildung für die Zukunft
  • Entwicklung einer konstruktiven Haltung zum Anthropomorphismus digitaler Technologie
Abbildung: Zusammenhänge zwischen Lern-Ökosystemen im Kontext von Bildung und Pflege

Forschungs- und Entwicklungsprojekte

Ausgewählte Beispiele für Projekte im Kontext der digitalen Kompetenzentwicklung ion Pflege und Pflegebildung.

Weblogs in der Pflegeausbildung

pflegeazubis-beraten.de: Integration öffentlicher Weblogs in das digitale Lern-Ökosystem einer Pflegeschule mit dem Ziel der Entwicklung von Medienkompetenz (Hölterhof, Brühe, Singer, & Thomas, 2023).

Abbildung: Online-Communities als Vernetzung von Pflegebildung und informeller Pflege

CrossComITS: Datensicherheit für Multiplikatoren in vulnerablen Zielgruppen

  • https://crosscomits.de
  • Steigerung von Bewusstsein und IT-Sicherheitskompetenzen vulnerabler Zielgruppen im privater Bereich durch eine Community-Plattform
  • Kooperationsprojekt zwischen Universität Siegen, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Katholische Hochschule NRW, Nano Giants
  • Förderung durch das BMBF im Rahmen der Förderlinie „Forschung Agil - Unterstützung von Bürgerinnen und Bürgern bei der privaten IT-Sicherheit“, Laufzeit 2022-2025

Zusammenfassung

  • Digitalisierung ist mehr als eine neue (austauschbare) Technologie; digitale Kompetenzen sind mehr als die Anwendung einer neuen Technologie

  • Digitalisierung als lebensweltliches Phänomen: Transformation von Gesellschaft, Kultur und Pflege

  • Pflegeschulen als Orte der Antizipation einer digitalen Transformation von Pflege und Pflegebildung

Anhang

Literatur

Baacke, D. (1996). Medienkompetenz – Begrifflichkeit und sozialer Wandel. In A. von Rein (Hrsg.), Medienkompetenz als Schlüsselbegriff (S. 112–124). Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.

Cabero-Almenara, J., Barroso-Osuna, J., Gutiérrez-Castillo, J.-J., & Palacios-Rodríguez, A. (2021). The Teaching Digital Competence of Health Sciences Teachers. A Study at Andalusian Universities (Spain). International Journal of Environmental Research and Public Health, 18(2552), 1–13. https://doi.org/10.3390/ijerph18052552

Engeström, Y. (1990). When is a tool? Multiple meanings of artifacts in human activity. In Y. Engeström (Hrsg.), Learning, working and imagining: Twelve studies in activity theory (S. 171–195). Hensiki: Orienta-Konsultit Oy.

Hölterhof, T., Brühe, R., Singer, E., & Thomas, D. (2023). Auszubildende in der Pflege beraten Betroffene: Aufgaben- und handlungsorientiertes Lernen mit Weblogs am Lernort Schule. In B. für Berufsbildung (Hrsg.), Bildung und Versorgung in der Pflege gemeinsam gestalten (S. 38–40). Bonn: Bundesinstitut für Berufsbildung.

Hülsken-Giesler, M., Kreutzer, S., & Dütthorn, N. (2022). Neue Technologien für die Pflege : Grundlegende Reflexionen und pragmatische Befunde. Göttingen: V&R unipress.

Kerres, M. (2017). Digitalisierung als Herausforderung für die Medienpädagogik: „Bildung in einer digital geprägten Welt“. In C. Fischer (Hrsg.), Pädagogischer Mehrwert? Digitale Medien in Schule und Unterricht (S. 85–104). Münster: waxmann.

Krämer, H., Jordanski, G., & Goertz, L. (2015). Medien anwenden und produzieren – Entwicklung von Medienkompetenz in der Berufsausbildung [Abschlussbericht]. Bonn: Bundesinstitut für Berufsbildung. Abgerufen von Bundesinstitut für Berufsbildung website: https://www.bibb.de/dienst/publikationen/de/download/8275

Krämer, S. (1997). Vom Mythos "Künstliche Intelligenz" zum Mythos "Künstliche Kommunikation" oder: Ist eine nicht-anthropomorphe Beschreibung von Internet-Interaktionen möglich? In S. Münker (Hrsg.), Mythos Internet (S. 83–107). Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Redecker, C. (2017). European Framework for the Digital Competence of Educators: DigCompEdu (Y. Punie, Hrsg.). Luxembourg: Publications Office of the European Union. https://doi.org/10.2760/159770

Rohs, M., & Seufert, S. (2020). Berufliche Medienkompetenz. In R. Arnold, A. Lipsmeier, & M. Rohs (Hrsg.), Handbuch Berufsbildung (S. 339–363). Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19312-6

Scharnhorst, U., & Kaiser, H. (2018). Transversale Kompetenzen für eine ungewisse digitale Zukunft? [OBS EHB Trendbericht 3. Zollikofen: Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung EHB]. In J. Schweri, I. Trede, & I. Dauner (Hrsg.), Digitalisierung und Berufsbildung. Herausforderungen und Wege in die Zukunft. (S. 9–12).

Schelhowe, H., Grafe, S., Herzig, B., Koubek, J., Niesyto, H., Berg, A. vom, … Schäfer, M. (2010). Kompetenzen in einer digital geprägten Kultur. Medienbildung für die Persönlichkeitsentwicklung, für die gesellschaftliche Teilhabe und für die Entwicklung von Ausbildungs- und Erwerbsfähigkeit [Bericht der Expertenkommission des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zur Medienbildung].

Star, S. L., & Ruhleder, K. (1996). Steps Toward an Ecology of Infrastructure: Design and Access for Large Information Spaces. Information Systems Research, 7(1).

Telieps, J., Peters, M., Falkenstern, M., & Saul, S. (2022). Kompetenzen für die Digitalisierung in der pflegeberuflichen Bildung. Bonn: BIBB.

Tulodziecki, G. (1998). Entwicklung von Medienkompetenz als Erziehungs- und Bildungsaufgabe. Pädagogische Rundschau, 52(6), 693–709.

Weidner, F., Harder, N., Hölterhof, T., & Linemann, G. (2023). digi2care – Studie zur Digitalisierung der Pflege in Rheinland-Pfalz. Abschlussbericht und Handlungsempfehlungen. Köln und Mainz: Ministeriums für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung Rheinland-Pfalz. Abgerufen von Ministeriums für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung Rheinland-Pfalz website: https://mastd.rlp.de/fileadmin/06/Pflege/Pflege_Dokumente/MASTD__Abschlussbericht_Digi2care_2023bf.pdf